verfasst
am 22. Dezember 2022
Winter 2022: Auenhof goes La Jimena
Auenhof on Tour - zu Besuch bei La Jimena
Eine Woche hin, eine Woche bleiben, eine Woche zurück. Das Ziel: La Jimena in den südspanischen "Alpujarras", rund 3000 km entfernt. Der Olivenhof ist seit rund einem Jahr unser Partnerbetrieb. Das wollten wir uns jetzt anschauen. Und auf dem Weg Freunde sehen.
...wir hatten uns dreieinhalb Wochen Zeit eingeplant, und nach einem heftigen Herbst auf diesen Urlaub hin gearbeitet wie noch nie. Dass wir wirklich losfuhren, glaubte ich erst, als wir das Pareyer Ortsschild im Auto hinter uns ließen. Mit unserem Azubi Olli hatten wir den Hof winterfest gemacht, ÖBFDler Tom war in die Feinheiten der Liefertour eingewiesen. Jetzt, loslassen.
In Heidelberg durften wir von einem guten Freund den "Tronton Silversurfer" übernehmen - einen VW-Bus, der uns schnell zum rollenden Zuhause und zur zweiten Haut wurde. Wir überquerten die erste Grenze und fuhren, fuhren, fuhren. Die Kinder hatten zwischen den Kindersitzen ihre kleine Bibliothek und wir erkauften uns die längeren Tagesetappen mit an die Grenzen des Erträglichen sich wiederholenden Benjamin-Blümchen-Folgen. Während also Benjamin gegen den Lärm in seinem Örtchen ankämpfte, einen Baum besetzte, den Zoo rettete und zum Mond flog, steuerten wir Erwachsenen uns Kilometer für Kilometer in Richtung Süden.
Vor rund 12 Jahren, bevor ich Jochen getroffen hatte, bevor der Auenhof gegründet und die Kinder geboren waren, hatte ich mal 18 Monate auf Tour in Südeuropa verbracht. Da hatte ich das Fahren zur Lebensform gemacht und bei meinen ersten Wwoofingerfahrungen hatte sich der Wunsch nach einem eigenen Hof in mir entwickelt. Auf unserer Reise fühlte ich mich ständig in diese Zeit versetzt. Entsprechend bewegend waren für mich die Besuche bei meinen Freunden Hervé und Marc aus dieser Zeit.
Hervé führt einen kleinen Hof, den Jardin der la Tortue, im Massif Central inmitten Frankreichs. Die Gegend ist wunderschön und besonders faszinierend mit ihren Feldsteinhäusern. Bei ihm hörte ich damals das erste Mal von der Möglichkeit, die Produktion eines Hofes über eine solidarische Gemeinschaft zu finanzieren. Seine AMAP (SoLawi) hat er nicht mehr, aber er produziert im Sommer noch Gemüse für den Markt.
Marc, den ich auf einem Bauernhof in Kroatien kennen und lieben lernte, ist heute Schäfer in einem kleinen Bergdorf bei Barcelona. Mit seiner Herde, die rund 200 Schafe und Ziegen umfasst, beweidet er das Unterholz in der Gegend, um Bränden vorzubeugen. Seine Geschichten aus der Zeit, als er sommers mit mehreren tausend Schafen in den Pyrenäen unterwegs war, sind besonders faszinierend.
Die Kinder entdeckten im französischen Carcassonne ihre Leidenschaft für Burgen, die bis zum Ende der Reise nicht nachließ. Bis zu unserer Rückkehr haben wir 4 Burgen besucht und unzählige von den Autofenstern aus entdeckt. Für Ausrufe der Begeisterung sorgten immer Palmen, die ersten fanden sie an der französischen Mittelmeerküste, die spektakulärste war die eine Bananenstaude auf La Jimena. Achja, und das Mittelmeer... Also, bei unserer Rückkehr fand man im Tronton ein Palmblatt, zwei Holzschwerter, zahlreiche Muscheln und Schnecken, verschiedene Zapfen, außerdem Zitronen, Granatäpfel, einige unbeschreiblich süße spanische Weihnachtnaschereien sowie eimerweise Baguettekrümel. Die Rückgewöhnung auf das Sauerteigbrot der Backstube fällt dieser Tage schwer.
Auf unserer Reise haben wir alle Farben Erde vorgefunden. Im Laufe der Zeit hatte ich schwarze, graue, fast weiße, gelbe und rote Erde an meinen Schuhen kleben. 8 Tage nach unserer Abfahrt im Havelland hatten wir endlich den rostroten Boden La Jimenas unter den Füßen. Nachdem sich der Tronton tapfer die steile Sandpiste den Weg hinauf gequält hatte, beschlossen wir, nicht mehr weg zu fahren. Jedenfalls nicht vor unserer Abreise. Und so blieben wir einfach dort, und lebten das Leben von Iko, Sophie, ihrer Tochter und ihren Helfern ein bisschen mit. Dazu gehörten eine Fahrt zum Markt Órgivas und ein Ausflug in die vom Nebel verzauberten Berge der Alpujarras, und ansonsten waren wir einfach da: aßen zusammen, kochten, redeten, spielten, lasen, fotografierten, ernteten die letzten Tomaten, besuchten Zitronenbäume und Bananenpalme, stromerten auf und ab über die Terassen, fassten Avocados am Baum an und streichelten Katzen. Und wir schliefen - schliefen, schliefen, schliefen.
Ud der Auenhof durfte bei der Olivenernte helfen. Von einem Team wurden zunächst Netze unter den Bäumen ausgebreitet, die den Boden lückenlos bedecken und über die Terassen in einem ausgeklügelten System so verteilt werden mussten, dass die herab gedroschenen Oliven zusammengerafft, und sicher von einem Netz auf das nächste manövriert werden konnten, bis sie schlussendlich von Ästchen befreit und in den Hänger geladen wurden. Waren die ersten Netze verteilt, machte sich das Ernteteam an die Arbeit. Mit dem "Rudi", dem Motorschüttler, der die Äste derart in Vibration versetzt, dass die Oliven nur so regnen, und händisch mit Stöcken, wurden die Oliven den Bäumen abgejagt. Und dieses Jahr war es ein Kampf um jede Olive: wohl schon vor Beginn der Ernte war abzusehen, dass der Ertrag gegenüber dem letzten Jahr minimal sein würde - etwa ein Fünftel. Die Gründe dafür sind neben üblichen jährlichen Schwankungen die Frühjahrshitze, die schon die Blütenbildung beeinträchtigte, und der trockene Sommer, der die Fruchtausbildung zusätzlich erschwerte. Die Hingabe, mit der auch noch die letzte Olive vom Baum geholt wurde, war irgendwas zwischen faszinierend und frustrierend. Jedenfalls konnte ich zum Schluss auch noch mit zur Mühle, und sehen, wie die Früchte erst über Förderbänder liefen, und dann hören, wie ihnen unter großem Getöse das Öl abgepresst wurde.
Für Jochen und mich war die Ernte eine besondere Erfahrung. Denn erstens ist sie eine völlig andere Arbeit als der Gemüsebau in Brandenburg, und zweitens waren wir hier einfach Helfer, Freiwillige, Unwissende. Mal wieder zu erfahren, wie wichtig es ist, gute Arbeitsanweisungen zu bekommen, oder wie es sich anfühlt, ohne Plan rumzustehen, oder wie entlastend es ist, nicht die/der Verantwortliche zu sein, war erfrischend und erdend. Ich werde mich sicher noch manches Mal daran erinnern, wenn wieder ein SoLawi-Mitmachtag ansteht.
Und noch etwas habe ich mitgenommen: ich fand La Jimenas Gemeinschaftsleben bemerkenswert gut strukturiert und organisiert, ohne dass dabei der Gemeinschaftsgeist verloren ging. Dabei hilft natürlich die Tatsache, dass die Olivenernte ein großes Gemeinschaftswerk ist, die nur gemeinsam klappt. Außerdem ist La Jimena ein Anziehungspunkt für engagierte junge Freiwillige, die bereit sind, sich für eine längere Zeit auf Ort und Arbeit einzulassen. Ich dachte oft an die Zeit auf meinen Höfen der großen Reise zurück. Der Spirit zwischen den Menschen war oft sehr besonders. Auf La Jimena war zudem kaum Druck zu spüren, obwohl das Arbeitspensum offensichtlich war. Ob das am schlechten Erntejahr lag oder an der inneren Ruhe von Iko und Sophie oder vielleicht daran, dass unser Einblick nur ein kurzer war - es war jedenfalls eine Oase.
Die Alpujarras um La Jimena sind eine ganz besondere Landschaft. Der Hinweg durchs Innere Südspaniens war geprägt gewesen von Trockenheit, braunen Sträuchern und Mandelanbau auf nackter Erde - ein heftiger Gegensatz zu den Orangen- und Zitronenplantagen und zu den Gemüsefeldern der Küste, wo jetzt Brokkoli und Blumenkohl wachsen. Ohne viel Hintergrundwissen kann man von den Autobahnen aus sehen, dass Spanien ein krasses Wasserproblem hat. Dass das wenige Wasser für die ganzjährige Gemüseversorgung Europas - allen voran Deutschlands - herhält, ist Ausbeutung. Spanien ist auch Europas größter Bioproduzent, obwohl dort wenig bio gegessen wird. Nur mal so, nach einer Woche Fahrt kann ich mir jetzt jedenfalls noch besser vorstellen, wie absurd weit Tomaten und Gurken zu uns fahren...
In den Alpujarras jedenfalls ist von Wassermangel keine Spur. Bereits vor über tausend Jahren wurden die Hänge terassiert und ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem eingerichtet, dass die Gegend mit dem Wasser der Sierra Nevada versorgt und zu einem Ort mit reicher Landwirtschaft machte. Im 19. Jahrhundert setzte ein Bevölkerungsschwund ein, heute leben in dieser Gegend viele Aussteiger aus zahlreichen Ländern. Direkt von la Jimena aus kann man zu den wasserführenden Querkanälen aufsteigen, von ihnen gehen Sturzbäche zu den einzelnen Höfen ab.
Auf dem Zweifamilienausflug in die Höhen der Alpujarras, zu Wasserfall und Steineichen, konnten wir sogar noch ein paar Steinböcke sehen. Ansonsten haben wir bemerkenswert wenig Tiere gesehe - vor allem wenig Insekten. Aber wir hörten gleich wieder auf uns darüber zu wundern, als uns einfiel, dass auch in Südspanien ja Winter ist.
Nach einem (vergleichsweise) langen Abend mit Gesprächen am Feuer ließen wir die Räder wieder rollen. Bergab ging es dem Tronton schon besser - ich hatte auf einigen Fahrten mit Iko auch die Furcht vor der Abfahrt verloren. Órgiva verabschiedete uns mit einem atemberaubend dunklen Himmel vor hell sonnenbeschienener Kirche. Die Stimmung bei der nächsten Burg war ähnlich. So krochen wir wieder die Küste hinauf, und nach einem Abstecher nach Mataró, ans Meer und zu einem alten Freund Jochens, besuchten wir zwei Freunde aus unserer gemeinsamen Lehrzeit.
"Myko"moritz, ein Lieblingsdozent aus der Ausbildung, empfing uns super herzlich in Girona und zeigte uns mit seiner Familie die Stadt im Dunkel der Weihnachtszeit. Gela, Gefährtin aus unseren wilden Zeiten im Ökohof Waldgarten, besuchten wir im östlichen Teil der Provence - und da kam dann der Winter über uns. 5 cm Schnee waren schon gefallen, als wir morgens los fuhren, und 2 Stunden und nur 20 km weiter, aber bei inzwischen rund 20 cm Schnee machten wir kehrt und nahmen den deutlich weiteren, aber schneechaosfreien Weg durchs Rhônetal. Der Winter begleitete uns über Schwäbisch Hall bis nach Hause. In Hall besuchten wir noch Nico und Sabeth - ja, genau, DER Nico, Mitgründer des Auenhofs! Das war ein großes Hallo, mit Schlittenfahren und Waffelessen und so weiter. Nico ist auch wieder im SoLawi-Geschäft. So schließt sich der Kreis.
Und während ich diese Zeilen schreibe, ist der Schnee in Parey schon wieder geschmolzen, eine neue Fuhre Gemüse ist in Berlin angekommen, der Ofen brennt und in der Schale auf dem Küchentisch liegen Zitronen und Granatäpfel. Frohes Fest!